Leerstand wegen Fachkräftemangel: Wege aus der Misere

Toxische Mischung: Immer mehr Betten in Pflegeheimen stehen leer, weil ein enormer Fachkräftemangel herrscht. Mit der geringeren Auslastung sinken jedoch auch dringend benötigte Einnahmen, die gleichbleibende Kosten wie etwa Miete und Instandhaltung abdecken. Diese Finanzierungslücke gefährdet langfristig die Pflegebetriebe, wenn Politik und Gesellschaft jetzt nicht handeln, erklärt TERRANUS-Aufsichtsratsvorsitzender Carsten Brinkmann.

Die Situation ist paradox. Während die Wartelisten für Pflegeheime anschwellen und Menschen händeringend einen Platz für pflegebedürftige Angehörige suchen, stehen in vielen Pflegeheimen immer mehr Betten leer. Der Grund: Ein enormer Fachkräftemangel, der weit gravierender ausfällt als in den meisten anderen Branchen. Auf 100 gemeldete Stellen für Pflegefachkräfte, so die Bundesagentur für Arbeit, kommen inzwischen nur noch 33 Arbeitssuchende. Und die Situation spitzt sich weiter zu: Während in den vergangenen fünf Jahren die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Pflege noch um 11 Prozent wuchs, nahm sie zuletzt nur um gut 1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. Dabei steigt die Zahl der Pflegebedürftigen kontinuierlich von derzeit rund 5 Millionen Menschen auf 6,8 Millionen in 2055, so das statistische Bundesamt.

Finanzieller Druck steigt: Investitionskosten nicht refinanziert

Paradox ist gleichermaßen, dass bei steigender Nachfrage immer mehr Pflegeheime in finanzielle Schieflage geraten oder gar Insolvenz anmelden. Der Grund: Stehen Betten leer, weil ohne ausgebildetes Personal die Fachkraftquote verfehlt wird, können die Betreiber deutlich weniger Investitionskosten berechnen. Es fehlen somit jene Einnahmen, die Miete und Kapitalkosten, aber auch Instandhaltungskosten refinanzieren – und die sind unabhängig davon, ob das Pflegeheim zu 65, 80 oder 95 Prozent belegt ist. Leerstehende Betten führen damit unweigerlich zur finanziellen Schieflage. Greifen Betreiber in der Not auf Zeitarbeitskräfte zurück, verstärkt dies das wirtschaftliche Dilemma. Denn deren Stundensätze liegen um das Zwei- bis Dreifache über den Tariflöhnen, und die Mehrausgaben werden vom Kostenträger in der Regel nicht ausgeglichen. „Auch das neue Personalbemessungssystem (PeBeM), das am 1. Juli in Kraft trat, wird die Zahl der benötigten Fachkräfte nur geringfügig reduzieren, denn die zusätzlich geforderten Assistenzkräfte sind am Markt nicht weniger rar als examinierte Fachkräfte“, erklärt Carsten Brinkmann.

Umdenken: Neue Wege für Betreiber, Investoren und Gesellschaft

Der Engpass an Fachkräften ließe sich mit einer flexibleren Fachkraftquote sicherlich leichter bewältigen“, erklärt der TERRANUS-Aufsichtsratsvorsitzende, „vor allem aber müssen wir als Gesellschaft die pflegerische Tätigkeit aufwerten und die Betreiber, nicht zuletzt durch Digitalisierung, das Berufsbild verändern und stärker akademisieren.“

Für die Zukunft zentral sind

  • Entbürokratisierung und höherer Digitalisierungsgrad: Es bedarf eines Gesamtkonzeptes, damit künstliche Intelligenz in Pflegeheimen nicht nur isolierte Prozesse, sondern ganze Routinebereiche selbstständig übernimmt und dokumentiert. Das schafft Zeit für die Pflege der Bewohner und führt zu einer Entlastung der Mitarbeitenden.
  • Neue Arbeitsmodelle: Lebensphasenorientierte Arbeitszeiten und flexible Modelle wie Jobsharing bieten Mitarbeitenden mehr Spielräume für verantwortungsvolle Selbstorganisation. Gerade weil die Teilzeitquote mit insgesamt 50 Prozent sehr hoch liegt, vier von fünf Pflegekräften weiblich und zusätzlich mit Familienarbeit belastet sind.
  • Konzept zur Personalakquise und -bindung: Von wertschätzenden Pausenräumen bis zur Gesundheitsförderung, von effizienten Abläufen über Weiterbildung bis hin zur unterstützenden Robotik – wer Mitarbeitende gewinnen und binden möchte, schafft attraktive Arbeitsbedingungen. Insbesondere weil die körperlichen wie psychischen Anforderungen an Pflegekräfte und die Bereitschaft zum Berufswechsel hoch sind.
  • Höherer Akademisierungsgrad: Mehr Studiengänge und ein duales Studium würden den Pflegeberuf aufwerten, den pflegerischen Verantwortungsbereich erweitern und so dazu beitragen, dass sich mehr junge Menschen auch aus dem Ausland dafür begeistern. Im internationalen Vergleich verharrt der Akademisierungsgrad in Deutschland bei unter 2 Prozent (2022), während die Niederlande bei 45 Prozent, Großbritannien und Schweden bei 100 Prozent liegen. Um das hierzulande zu ändern, bedarf es sicherlich eines entschiedenen Drucks aus Gesellschaft und Pflegebranche auf den Gesetzgeber. Zudem müssten Betreiber entsprechende duale Studien- und Ausbildungswege in ihren Betrieben schaffen.
  • Aufwertung des Berufs: Die Aufwertung des Berufs durch Akademisierung und bessere Arbeitsbedingungen erhöht die Anziehungskraft für junge Menschen. Die Verantwortung für die Veränderung tragen alle Beteiligten. Statt des Selbstbejammerns der Branche bedarf es einer guten Führungsstruktur. Dann ermöglichen Schichtdienste oder Jobsharing auch Wahlmöglichkeiten, die ein „normaler“ Bürojob nicht bietet.

Vom Gesetzgeber verlangt: Durchdachte Reformen statt Klein-Klein

„Eigentlich ist der Betrieb von Pflegeheimen ein sehr stabiles und kontinuierliches Umfeld, das sich gut antizipieren und führen lässt“, erklärt Carsten Brinkmann, „immer vorausgesetzt, dass der Gesetzgeber den Betreibern auch gewisse Freiheitsgrade etwa beim Personaleinsatz einräumt, die Regulatorik nicht noch weitertreibt oder plötzlich unabgestimmte Gesetzesänderungen vornimmt.“

Von der Politik gefragt sind

  • Beschränkung der Zeitarbeit: Zeitarbeitsfirmen verstärken nicht nur den Fachkräftemangel, sie treiben mit den zwei- bis dreifachen Stundensätzen der Tariflöhne auch die Kosten in die Höhe und werben mitunter gar fest angestellte Pflegekräfte ab. Eine Beschränkung oder ein Verbot wie etwa im Bauhauptgewerbe wäre zu diskutieren. Auch eine „Höchstpreis“-Bindung wie im Buchhandel oder eine Preisspannenverordnung wie im Pharmahandel würde Betreiber wie Sozialkassen finanziell entlasten.
  • Flexibilität beim Personaleinsatz: Starre Fachkraftquoten sowie der Kontrolldruck durch zahlreiche Aufsichtsbehörden schränken neue Arbeitsstrukturen und -modelle ein. Flexiblere Personalvorgaben sowie praxisnahe Personalbemessungssysteme lassen mehr Spielraum für neue, auch digitalisierte Organisation. Schweden macht seit Jahren vor, dass es auch anders geht.
  • Regulatorische Freiräume: Mehr Gestaltungsfreiräume für Weiterentwicklungen sind gefragt, um mit modernen Berufsbildern auch in der Pflege Schritt zu halten. Starre Regularien, die zum Teil noch aus den 90er Jahren stammen, verhindern bzw. degradieren den Veränderungsprozess. Damit lässt sich die kommende Generation sicher kaum für den Beruf begeistern.
  • Vorurteile abbauen: Statt Betreiber mit Misstrauen zu begegnen, sollten alle Beteiligten das gemeinsame Ziel verfolgen, ausreichende Pflegestruktur für die Zukunft zu schaffen. Dazu zählt nicht zuletzt, überlegt und pragmatisch die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern und Perspektiven zu bieten.

„Ein resigniertes Weiter so, ein Klagen darüber, dass sich junge Menschen immer seltener für die Pflege entscheiden oder die Ausbildung abbrechen, können wir uns gesellschaftlich nicht leisten“, sagt Carsten Brinkmann, „dazu brauchen wir auch eine faire und generationengerechte Finanzierung, um langfristig Versorgungsstabilität zu gewährleisten.“

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