Neuer RWI Pflegeheim Rating Report: Pflege ohne Personal?

Deutschlands Pflegeheime sind gleich mehrfach in der Zwickmühle: Die Kosten steigen massiv, aber die Refinanzierungspraxis wird dem nicht gerecht. Unternehmerische Spielräume gibt es nicht – zu eng ist das Korsett der Regulierung. Und zu alledem kommt noch der massive Personalmangel. Der aktuelle „RWI Pflegeheim Rating Report 2024“ analysiert, was das für die Einrichtungen bedeutet und stellt eine ketzerische Frage: „Pflege ohne Personal?“

Das RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung beobachtet seit 15 Jahren den deutschen Pflegemarkt. Für seinen Pflegeheim Rating Report wertet das Institut gemeinsam mit dem Institute for Healthcare Business GmbH (hcb) sowie unter anderem mit Unterstützung von TERRANUS deutschlandweit die Jahresabschlüsse von mehr als 2.100 Pflegeheimen aus. Die Tendenz ist bereits seit Jahren eindeutig: Der Druck auf die Einrichtungen steigt – und damit der Veränderungsdruck auf Branche und Politik insgesamt.

Bereits im Jahr 2019 – also vor der Corona-Pandemie – lagen 20 Prozent der Einrichtungen im „roten Bereich“, das heißt, sie waren akut ausfallgefährdet. Auch die Ertragslage anhand der EBITDAR-Marge hat sich im Zeitverlauf stetig verschlechtert. Interessanterweise zeigen die Analyseergebnisse wenige bis keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf Größe, Einzelheim oder Kette. Bestätigt wurde lediglich eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit von privaten Trägern in Fällen, in denen die Immobilien nicht im Eigentum sind.

 

Die Insolvenzen von Pflegeheim-Betreibern aller Trägerformen im Laufe dieses Jahres geben eine Vorstellung davon, was der Branche künftig noch bevorstehen könnte. „Die Betreiber stehen unter enormen wirtschaftlichen Druck“, stellt Anja Sakwe Nakonji fest. „Und das in einer Zeit, in der wir die Pflegekapazitäten eigentlich massiv ausbauen müssten.“ Denn Deutschland benötigt bis 2040 rund 372.000 zusätzliche Pflegeplätze. Dazu müssten jährlich rund 270 Heime neu gebaut und betrieben werden.

Pflege muss effizienter werden

Heißt die Lösung also – wie im Untertitel des Pflegeheim Rating Reports angegeben – Pflege ohne Personal? „Die Frage ist provokant, aber berechtigt“, so Sakwe Nakonji. „Wir müssen natürlich nicht ohne, aber mit deutlich weniger Personal eine adäquate Versorgung leisten können.“ Denn der Faktor Personal wirkt sich massiv aus. Bereits im Report von 2022 wurde ein Szenario „Lohndruck“ simuliert, um die Auswirkungen des Mangels an Pflegefachkräften abzubilden. Der Effekt ist dramatisch: Fast die Hälfte aller Pflegeheime wären in diesem Szenario im roten Bereich.

„Für alle Branchen wird in Deutschland über die Notwendigkeit diskutiert, mit Produktivitätsfortschritten Kostensteigerungen entgegenzuwirken“, weiß die TERRANUS-Geschäftsführerin. Sie fordert: „Diese Diskussion darf und muss auch in der Pflegebranche stattfinden.“ So sind Produktivitätsfortschritte auch hier möglich, zum Beispiel indem bürokratische (Personal)-Vorgaben abgebaut und Heimgesetze verschlankt werden. Das käme auch der Pflegeversicherung und den Sozialkassen zugute. „Diese Zusammenhänge sind offensichtlich und müssen bei den politisch Verantwortlichen endlich Anklang finden“, sagt Sakwe Nakonji. „Gerade die Pflege als personalintensive Branche kann nur im Kontext der Entwicklungen des Arbeitsmarktes gedacht und geregelt werden.“

Intelligente und kreative Konzepte

Ideen und Konzepte dafür gibt es. Dazu zählen beispielsweise Vorschläge zur „Entsäulung“ der Pflegeversicherung, das heißt, einer Auflösung der Unterschiede zwischen ambulanter und stationärer Pflege. Dies führt zu einer deutlichen „Entschlackung“ der Vorgaben und damit weniger bürokratischem Aufwand, und es wird seit Jahren erprobt. Auch Modellprojekte der Pflegekassen zur Einbindung von Angehörigen in die Pflege laufen erfolgreich.

Und noch eine weitere „Ineffizienz“ muss beseitigt werden: Dass in Pflegeheimen Leerstand herrscht, weil Pflegekräfte fehlen, ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Wenn es schon nicht gelingt, die Personalvorgaben zu ändern, sollte zumindest dieser barrierefreie Wohnraum unkompliziert umgenutzt werden können.

„Es mangelt also nicht an intelligenten oder kreativen Konzepten, sondern vielmehr an politischer Courage“, erklärt dazu Anja Sakwe Nakonji. „Und an der zentralen Erkenntnis, dass es für solche Konzepte nicht mehr, sondern weniger Regulierung braucht.“ Damit die professionelle Pflege wieder zukunftsfest wird, sollten möglichste viele Akteure über die gesamte Branche hinweg ihre Stimmen bündeln und sich für die nötigen Veränderungen einsetzen, wie das zum Beispiel die Forster Initiative macht. Wenn das gelingt, werden im übernächsten Pflegeheim Rating Report wieder ein paar mehr Einrichtungen im grünen Bereich sein.

Für weitere Informationen sprechen Sie uns gerne an! Gerne kommen wir auch mit Ihnen auf der Presekonferenz zum RWI Pflegeheim Rating Report am 11.12. ins Gespräch.

Pflegeheim Rating Report

Ziel des Reports ist die Verbesserung der Transparenz im deutschen Pflegemarkt mit dem Fokus auf stationärer Pflege. Die empirischen wissenschaftlichen Auswertungen werden auf der Grundlage der Jahresabschlüsse von über 2.000 Pflegeheimen erstellt. Die Daten werden zwei Jahre retrospektiv analysiert und spiegeln nicht die brandaktuelle Entwicklung wider. Dennoch können über die Analyse strukturelle Aussagen zur Pflegebranche getroffen werden. Neben den Auswertungen enthält der Report verschiedene Sonderanalysen. Am 11.12.2023 wird der 9. Report veröffentlicht.

Verlinkungen zu weiteren Informationen:

Altenheim digital Zeitschrift, Ausgabe 10/2023

Flyer Forster Initiative

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