Homeoffice: Denken, das ansteckt?

In Zeiten der Lockdowns und hoher Inzidenzen entdeckten Unternehmen die Vorteile des Digitalisierungsschubs und des Homeoffice. Inzwischen legt sich die Euphorie und macht Platz für eine differenziertere Betrachtung. Eine Zwischenbilanz von Carsten Brinkmann.

Eines scheint gewiss: Die „alte“ Normalität einer sturen Präsenzkultur im Büro gehört in vielen Unternehmen der Vergangenheit an. Dennoch, die anfängliche Euphorie über den enormen Digitalisierungsschub macht inzwischen einer Ernüchterung und Differenzierung der künftigen Homeoffice-Potenziale Platz. Denn mit der Zeit sinken das Wohlbefinden und die Resilienz vieler Mitarbeiter und verdrängen den positiven Elan aus dem Frühjahr 2020. Damals klinkten sich quasi über Nacht Millionen Beschäftigte vom heimischen Schreibtisch und mit autodidaktischem Eifer in ihre Betriebe ein.

Digitalisierung und neue Arbeitsformen: Erfahrung aus der Lockdown-Zeit

Zunächst mit Erfolg – die Leistungsfähigkeit, so Studien des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), blieb gleich oder stieg anfänglich sogar an. Aus der Not geboren, nutzten Arbeitgeber wie Arbeitnehmer die Gunst der Stunde und sammelten Erfahrungen mit digitaler Technik und angepassten Arbeitsformen, die im medizinischen Bereich anders aussehen als beispielsweise im Rechnungswesen. Deutlich wurde auch, dass kreative Ideen und Innovationen eher durch lebendigen Austausch, durch die „Schwarmintelligenz“ im Team als in einsamen Kemenaten entstehen. Und vor allem Dienstleistungen leben von der engen Beziehung zwischen Menschen, denn insbesondere der persönliche Kontakt schafft Vertrauen und langfristige Bindungen.

Die nun beschleunigte Digitalisierung könnte uns bei der Bewältigung der demografischen Entwicklung entscheidend unterstützen, beispielsweise den starken Rückgang bei Beschäftigten und insbesondere bei Fachkräften zu kompensieren. Durch Produktivitäts- und Effizienzsteigerung entstünde langfristig eine Digitalisierungs-Dividende zur Sicherung des Rentenniveaus, Steigerung des Lebensstandards und für den Sozialausgleich. Und das geschieht nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Arbeiteten Erwerbstätige zum Beispiel 1950 im Schnitt noch 2.400 Stunden, betrug die Zahl 2020 nur noch rund 1.300. Parallel dazu stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Arbeitsstunde von 6 auf 50 Euro. Das unterstreicht, wie unbegründet manche Befürchtungen vor der zunehmenden Automatisierung in der Vergangenheit waren und schließlich auch für den aktuellen Digitalisierungsschub sein werden: Sie verbessert unser Dasein und unser Miteinander.

Echte „Homeoffice-Typen“ sind eher selten

Was aber folgt aus der Erfahrung der beschleunigten Digitalisierung, wenn der persönliche Kontakt für viele Aufgaben unabdingbar scheint. Es blieben noch standardisierte Arbeitsprozesse, die sich ebenso gut im Homeoffice wie in Präsenz bearbeiten lassen. Fördert dann Homeoffice die Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter? Eine Typfrage, denn inzwischen ist klar: Die „neue Welt“ verlangt den Menschen weit mehr ab als Teams, Zoom & Co. Glauben machen. Technologie allein reicht eben nicht aus, um eine neue Arbeitswelt zu schaffen. Es geht um das richtige Mindset und eine Arbeitskultur, die ein positives Umfeld schafft und Ergebnisse befördert. Modelle, die in der analogen Welt passten, müssen ins Virtuelle transformiert werden: Das bedarf eines neuen Miteinanders und anderer Regeln.

Denn, ob Homeoffice gelingt oder gar Vorteile bringt, hängt nicht nur von der konkreten Aufgabe oder Organisationsstrukturen ab. Es sind auch Faktoren bestimmend, die in der Persönlichkeit des Mitarbeiters und seiner Haltung liegen. Drei elementare Unterschiede machen Psychologen dafür verantwortlich: Der erste unterscheidet Mitarbeiter danach, wie wichtig ihnen soziale Kontakte für ihr Wohlbefinden sind. Ein weiterer bewertet, ob und wie motiviert Mitarbeiter selbstständig und ohne Teamspirit arbeiten. Und der dritte beschreibt den Grad an Eigenverantwortung und Eigeninitiative, mit dem der Einzelne seine Entscheidungen trifft. Wer gerne und motiviert alleine arbeiten und Aufgaben durchdenken kann, mühelos Entscheidungen fällt, ein hohes Maß an Eigenverantwortung trägt sowie sich selbst zu strukturieren vermag, ist der ideale Homeoffice-Typ. Ihn „verlangt“ nur selten nach einem Team. Das trifft nach Schätzungen der Arbeitspsychologen bestenfalls auf ein Drittel aller Menschen zu. Denn es gibt auch jene, die erst inmitten des Teams aufblühen und engagiert mitarbeiten, gerne Rücksprache mit dem Vorgesetzten halten, klare Zielvorgaben wünschen und Entscheidungen nicht alleine fällen möchten. Dieser Typus mag ein guter Teamplayer sein, Homeoffice-Begabungen zählen weniger zu seinen Stärken.

Das bedeutet auch: Die hybride Arbeitswelt ist keineswegs ein Allheilmittel, das Unternehmen automatisch produktiver und Mitarbeiter glücklicher macht. Wer nur selten persönlich im Büro erscheint, verliert langfristig die Bindung an das Unternehmen und wird von Kollegen und Vorgesetzten anders wahrgenommen. Das beeinflusst natürlich auch die berufliche Weiterentwicklung. In Zukunft kommt dem „Büro-Raum“ eine neue Bedeutung zu, mehr denn je wird er zum Ort der Kommunikation und des Zusammenwirkens. Auf den ersten Blick mag die neue mobile Arbeitswelt für Mitarbeiter, sofern sie nicht in der Produktion oder mit Patienten arbeiten, überwiegend Vorteile bringen: weniger Dienstreisen und Berufspendelei, mehr Zeit für Familie und Hobbies. Zudem wird nach der Corona-Zeit wohl niemand mehr als Drückeberger angesehen, nur weil er überwiegend mobil arbeitet. Doch soziale Kontakte, der Austausch untereinander und die persönliche Weiterentwicklung finden im „Homeoffice“ nur sehr begrenzt statt. Noch zudem bieten das „geregelte“ Arbeiten im Büro Orientierung und begrenzt die Vermischung von Arbeits- und Freizeit. Wer heimkehrt, darf „abschalten“ und sich erholen.

Virtuelle Teams fordern neue Führungsfähigkeiten

Auch die Anforderungen an die Führungskräfte steigen, erfordern mehr Disziplin und andere Befähigungen als bislang. Neben vielen digitalen Fertigkeiten, häufigen virtuellen Einzel- und Teammeetings müssen Leitungskräfte lernen, Prozesse viel stärker zu strukturieren und intensiver den Austausch mit jenen Teams oder Mitarbeitern zu halten, die sich „auf Distanz“ verlieren könnten. Es bedarf viel Aufmerksamkeit, um niemanden zu übersehen. In hybriden Arbeitsmodellen müssen Führungskräfte ihre Mitarbeiter intensiver wahrnehmen, um zu unterstützen und einschätzen, ob sie in den Projekten vorankommen, es Probleme oder Spannungen im Team gibt. Bei Präsenz im Büro nehmen die Führungskräfte das viel schneller wahr als in Teams, die sich parallel in analogen und digitalen Räumen bewegen.

Nimmt man „Digital Leadership“ ernst, bedeutet es weitaus mehr, als die neuen virtuellen Instrumente zu beherrschen. Es gilt zu differenzieren, welche Prozesse, welche Mitarbeitertypen oder ganze Teams virtuell gut agieren und in welchen Bereichen es zu weniger Kundenbindung, einer abnehmenden Resilienz und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter führt. Das ist umso wichtiger, als viele Unternehmen auch nach der Pandemie Homeoffice weiterführen werden. Der größere Teil zielt jedoch nicht auf die vollständige Relokalisierung der Arbeit an den Heimarbeitsplatz, sondern auf hybride Mischformen. Der permanente Arbeitsplatz in der eigenen Wohnung leistete im Umgang mit der Pandemie einen bedeutsamen Beitrag. Als Leitmotiv für die Nach-Corona-Zeit jedoch scheint er sich nicht generell zu eignen – auch wenn Remote Work flexibleren Lebensentwürfen entgegenkommt und wohnortunabhängig Mitarbeiter erreichbar macht.

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Carsten Brinkmann

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